Heimatverein
MEMORIA Priort e.V.


Der Bahnhof in Priort

Die Redaktion der „Priorter Nachrichten“ möchte ab dieser Ausgabe damit beginnen, Ihnen Häuser und deren Geschichte aus unserem Ortsteil Priort vorzustellen.
Wir beginnen unsere Reihe mit einem Gebäude, welches heute einen traurigen Anblick bietet. Wir Bewohner von Priort sind traurig, dass die Deutsche Bahn (DB) nicht mehr daraus gemacht hat. Sie ahnen, worum es sich handelt: um das ehemalige Bahnhofsempfangsgebäude vom Bahnhof Priort.
Auf alten Fotografien ist zu erkennen mit welchem Stolz dieses Gebäude einst unseren Bahnhof zierte. Das Gebäude wurde im Jahre 1906 errichtet an der eingleisigen Bahnstrecke Wildpark (heute Potsdam Park Sanssouci) – Wustermark – Nauen, welche am 1. September 1902 in Betrieb ging.
Der Haupttrakt wurde zweistöckig erbaut. An beiden Giebelseiten befanden sich einstöckige Anbauten, wovon heute nur noch einer zu erkennen ist. Das obere Stockwerk war ausgestattet mit zwei Wohnungen für Bahnbedienstete des Bahnhofes Priort. Das untere Stockwerk war ausschließlich für den Dienstbetrieb vorgesehen. Der Erkeranbau zur Bahnsteigseite enthielt zur Zeit seiner Erbauung Stellvorrichtungen für zwei Weichen- und Signalanlagen. Erst nach der Erweiterung der Bahnhofsanlage entstanden die Stellwerke, die zum Bahnhof gehörten und der Erker wurde für andere Dienstzwecke genutzt.

An der Westseite des Gebäudes befand sich der Güterboden, welcher beidseitig mit begehbaren Rampen ausgestattet war. Zur Gleisseite konnten Eil- und Stückgüter über ein durch einen Prellbock gesichertes Anschlussgleis bis an das Gebäude heran transportiert werden, um die Entladung zu erleichtern. Die Auslieferungen an die Kunden erfolgten zur Straßenseite. Zu diesem Zweck wurden auf beiden Seiten große schiebbare Rolltore angebracht. Neben dem Güterboden befand sich ein kleinerer Raum, der sogenannte „Lampenraum“. Hier wurden dienstbereite und defekte Schlusslichtlampen aufbewahrt. Ebenfalls dazu gehörten diverses Putzmaterial, Ersatzteile und Petroleum, womit die Lampen regelmäßig aufgefüllt wurden. Während der Dunkelheit mussten alle Züge mit den Schlussleuchten ausgestattet sein. Auf allen Bahnhöfen, auf denen Lokwechsel durchgeführt wurden, musste das Dienstpersonal in der Frühschicht dafür sorgen, dass die aufgefüllten Schlussleuchten einsatzbereit zur Verfügung standen.
Der Zugang zu den Diensträumen des Empfangsgebäudes erfolgte von der Bahnsteigseite. Bei Inbetriebnahme des Bahnhofes war ein freier Zugang zu den Bahnsteigen nicht möglich. Dass die Gleisanlagen durch einen Zaun gesichert wurden, ist auf alten Fotos erkennbar. Bevor die Reisenden den Bahnsteig betreten durften, wurden ihre Fahrausweise kurz vor der Einfahrt des Zuges mit einer Zange von Hand entwertet. Dazu wurde das Tor als Zugang zu den Bahnsteigen geöffnet. Die Fahrkarten erhielten in Priort die Prägezeichen „PR“ und das jeweilige Datum.
Schon bei der Inbetriebnahme des Bahnhofes gab es zwei Bahnsteige. Der am Bahnhofsgebäude befindliche besaß schon damals eine befestigte Bahnsteigkante. Der zweite Bahnsteig war nur aus Materialien wie Schotter oder mit Kiesel versetztem Splitt aufgeschüttet und verdichtet.
Zurück zum Gebäude. Die Bewohner der Dienstwohnungen im oberen Stockwerk konnten ihre Wohnräume vom hinteren Flur des Gebäudes oder über einen separaten Eingang an der Straßenseite erreichen. Die Diensträume waren aufgeteilt in Warteraum, Fahrkartenausgabe, Aufenthalts- und Arbeitsraum für die Bahnhofsaufsicht. Viele von Ihnen erinnern sich bestimmt an die Mitarbeiter mit der roten Kopfbedeckung, die auch hier früher mit der bekannten „Kelle“ die Abfahrt des Zuges signalisierten. Die Zugfertigsteller hatten hier ebenfalls ihr Domizil. Ihre Aufgabe bestand darin, nach Neubespannung eines Zuges mit einer anderen Lok eine Bremsprobe durchzuführen, um das Verhalten der Bremsen jedes Wagens zu kontrollieren. Nach Erhalt ordnungsgemäß ausgefertigter Wagenpapiere konnte dann der Zug den Bahnhof wieder verlassen. Bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts hatte der Bahnhof Priort einen eigenen Dienstvorsteher, dessen Dienstraum sich ebenfalls hier befand.
Erst mit der Fertigstellung des Berliner Außenringes wurde die Bahnstrecke zweigleisig ausgebaut und das Bahnhofsgebäude erhielt ein anderes Gesicht. Die Aufteilung der Diensträume wurde auch verändert.
Der ehemals am östlichen Giebel des Gebäudes befindliche Anbau wurde ungefähr zu dieser Zeit abgetragen. Ursprünglich beherbergte er eine Gaststätte und private Wohnräume für deren Betreiber. Die älteren Priorter werden sich noch an die „kühlen Blonden und den Kurzen dazu“ bei Frau Splitt erinnern. Als Kind hatte ich damals eher einen Blick für das große Bonbonglas und die sonstigen Süßigkeiten, die es hier gab. Hier wurden die ersten Fernsehbilder in Priort empfangen und gegen ein kleines Entgelt konnte man in der guten Stube der Familie Splitt Platz nehmen und die eine oder andere Fernsehsendung verfolgen. Heute kaum vorstellbar, aber Fernsehgeräte waren damals noch eine Seltenheit. Das Speiseangebot hielt sich in Grenzen, aber die Bockwurst schmeckte eben bei Frau Splitt besser als zu Hause. Meine Erinnerung an einen kleinen Schluck Fassbrause auf dem Rückweg vom Spaziergang mit der Kindergartengruppe von den Spielplätzen der damals unvollendeten Autobahnböschungen ist bis heute frisch (ca. 1956). Zwei große Weißbiergläser mit dem erfrischenden Getränk mussten für die ganze Kindergartengruppe reichen. Dazu wurde das Verkaufsgeschäft über das geöffnete Fenster des Gastraumes abgewickelt.

Friedegund Mantey
MEMORIA Priort e.V.

 

 
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